Vor 12 Jahren: EF5-Tornado in Moore - der letzte seit mehr als einem
Jahrzehnt
Am 20.05.2013, heute vor 12 Jahren, wurde die US-amerikanische Stadt
Moore von einem extremen Tornado der Stärke EF5 verwüstet. Dieser
Tornado ist seitdem bekannt als der Letzte, welcher diese Stärke
erreicht hat. Einen Rückblick auf das Ereignis und eine mögliche
Antwort auf die Frage, warum so lange keine weiteren EF5s verzeichnet
wurden, finden sich im heutigen Thema des Tages.
Moore, Teil der Metropolitan Area von Oklahoma City, hat in Sachen
Tornados eine bemerkenswerte Geschichte. Die Stadt scheint beinahe
eine Anziehungskraft auf diese Art Stürme zu haben. Denn alleine seit
1999 verursachten insgesamt fünf signifikante Tornados immer wieder
große Schäden im Stadtgebiet. Die Serie startete im Mai 1999 mit dem
Bridge Creek-Moore F5, der Tornado mit den höchsten jemals gemessenen
Windgeschwindigkeiten mit 521 km/h. In den Folgejahren zogen außerdem
ein EF2 (2015), ein F4 (2003) und ein EF4-Tornado (2010) durch
bewohntes Gebiet. Nein, bei dem Event im Jahre 2003 wurde kein "E"
vergessen, das war vor der Einführung einer neuen Fujita-Skala, doch
mehr dazu später. Am ehesten ist den Bewohnern aber der EF5-Tornado
vom 20.05.2013 in Erinnerung.
Der Tornado war Teil einer großen Schwergewitterlage in den zentralen
Vereinigten Staaten zwischen dem 18.-20. Mai, bei der sich insgesamt
77 Tornados bildeten. Ein ausgeprägter Höhentrog mit
korrespondierendem Bodentief zog langsam ostwärts über die nördliche
Mitte der USA. Auf dessen Vorderseite wurden sehr warme, instabile
und feuchte Luftmassen nach Norden transportiert. Die Windscherung,
welche essentiell für die Bildung von Superzellen mit Tornados ist,
war in den Bereichen stark erhöht. In dieser Luftmasse entwickelten
sich im Vorfeld einer Kaltfront, an einer sog. Dryline (Wetter und
Klima - Deutscher Wetterdienst - Thema des Tages - Die "dryline")
schwere Gewitter, inklusive Superzellen. Aus einer dieser Zellen
bildete sich um 14:56 Uhr Ortszeit, etwa 7 km nordwestlich von
Newcastle, Oklahoma der Tornado aus und begann seinen zerstörerischen
Weg nach Nordosten in Richtung Moore. Über 39 Minuten hinweg
verursachte der Tornado gewaltige Schäden in den südlichen
Wohngebieten und umliegenden Regionen westlich und östlich von Moore.
Durch die Stadt verlief eine fast durchgängige Schadensschneise mit
EF4- und einigen EF5-Schäden. Zum Teil war sie 350 Meter breit. Ganze
Wohnsiedlungen wurden hier dem Erdboden gleich gemacht, Schulen,
Krankenhäuser und andere wichtige Infrastruktur stark beschädigt. An
einer Kreuzung knapp westlich des Interstate 35 entstanden die
größten Schäden, da der Tornado hier eine Schleife machte und länger
über dieser Stelle wütete. Eine Übersicht über die genaue Zugbahn und
die unterschiedlichen Schadensbereiche zeigt die untenstehende
Abbildung 2. Wenn Sie sich nun fragen, wo denn die violetten Farben
für den EF5 geblieben sind, so sind diese nur in ganz feinen Spuren
entlang der "Schleife" sowie dicht südwestlich davon innerhalb des
breiten roten EF4 Bereiches zu finden und mit bloßem Auge kaum zu
sehen. Insgesamt waren es 9 Häuser, an denen eine EF5 Schaden
nachgewiesen wurde.
Das traurige Fazit des Tornados: Auf einer Zugstrecke von 23
Kilometern und einer maximalen Breite von 1,7 Kilometern verloren 24
Menschen ihr Leben, mehrere Hunderte wurden verletzt. Über 4200
Objekte wurden beschädigt, darunter etwa 1150 Häuser, von denen
insgesamt mehr als 300 EF4/EF5-Schäden erlitten. Die Schadenssumme
betrug in 2013 rund 2 Milliarden US-Dollar.
Seit diesem Tag ist der Tornado in Moore der letzte registrierte
EF5-Tornado. Tatsächlich ist die aktuelle, 12-jährige EF5-"Dürre" der
längste Zeitraum ohne einen solchen Tornado seit dem Beginn der
Aufzeichnungen. Somit stellt sich die Frage, ob diese Pause
meteorologisch bedingt, zufällig oder das Resultat einer
wechselhaften Klassifizierungspraxis ist.
Eine mögliche Ursache könnten meteorologische Veränderungen im
Zusammenhang mit dem Klimawandel sein. Es ist allerdings noch sehr
schwierig zu beurteilen, inwieweit der Klimawandel tatsächlich
Tornados beeinflusst. Durch Einschränkungen in den
Tornadodatenbanken, ein begrenztes Verständnis der Tornadogenese und
die grobe Auflösung der Klimamodelle, werden verlässliche Aussagen zu
den Auswirkungen des Klimawandels auf die Tornadoklimatologie der USA
erschwert. Seit einigen Jahren zeigt sich aber neben einer räumlichen
Verschiebung, eine höhere Variabilität. Das bedeutet, dass es
insgesamt weniger Tage mit Tornados gibt, dafür eine Zunahme von
Tornados an einzelnen Ausbruchstagen. Diese Beobachtung lässt sich
sogar mit bisherigen Erkenntnissen der Klimaforschung in Einklang
bringen. Laut Modellen würden in einem wärmeren Klima die CAPE-Werte
(Convective Available Potential Energy, also die einem Gewitter zur
Verfügung stehende Energie) steigen, während die CIN-Werte
(Convective Inhibition, Energie, die ein Gewitter für seine
Entstehung überwinden muss) ebenfalls zunehmen würden. Dies würde
dazu führen, dass weniger Superzellen gebildet werden, aber wenn sie
entstehen, wären sie aufgrund der erhöhten CAPE stärker und könnten
mit größerer Wahrscheinlichkeit mehrere und stärkere Tornados
erzeugen. Diese theoretische Zunahme von starken Tornados
widerspricht jedoch der EF5-"Dürre" und stellt somit keinen guten
Erklärungsansatz für das Fehlen von EF5-Tornados dar.
Es erscheint ebenfalls wenig wahrscheinlich, dass es sich hier
lediglich um einen Zufall handelt. Zwischen 1880 und 2023 wurden
insgesamt 101 F5- bzw. EF5-Tornados registriert ? das entspricht
durchschnittlich etwa 0,7 pro Jahr. Diese besonders starken Tornados
traten in 59 von insgesamt 144 Jahren auf, was einer jährlichen
Wahrscheinlichkeit von rund 41 % entspricht. Geht man davon aus, dass
das Auftreten von mindestens einem F5-/EF5-Tornado pro Kalenderjahr
unabhängig von vorhergehenden Jahren ist, so betrug die
Wahrscheinlichkeit dafür, dass in den 11 aufeinanderfolgenden Jahren
seit 2013, kein solcher Tornado in den Vereinigten Staaten auftritt,
lediglich 0,17 %. Die aktuelle EF5-"Lücke" ist statistisch gesehen
also extrem selten und kann als sehr ungewöhnlich betrachtet werden.
Es muss also wohl ein anderer Grund dahinterstecken.
Eine kürzlich erschienene Studie zeigt: Die scheinbare Abnahme ist
weniger auf eine tatsächliche Reduktion dieser Ereignisse
zurückzuführen, sondern vielmehr auf eine Veränderung in der
Bewertungsmethodik von Tornados. Seit 2007 verwendet die USA nämlich
nicht mehr die klassische Fujita (F)-Skala, sondern stattdessen die
Enhanced Fujita (EF)-Skala zur Klassifizierung von Tornadofällen. Der
wesentliche Unterschied ? und vermutlich auch der Hauptgrund für die
gesunkene Zahl an EF5-Tornados ? besteht darin, dass die neuere
EF-Skala bauliche Rahmenbedingungen berücksichtigt und je nach
Gebäudetyp unterschiedliche Schadensgrade definiert. Dadurch kann es
passieren, dass Tornados, die nach der alten Fujita-Skala als F5
eingestuft worden wären, nach den strengeren Kriterien der EF-Skala
nur noch als EF4 bewertet werden. Nicht zu verwechseln ist diese
Anpassung in den USA mit der erst jüngst erfolgten Einführung der
Internationalen Fujita Skala (IF) in Europa, die gesondert auf die
hiesige Bauweise angepasst ist und auch vom DWD verwendet wird.
Doch zurück zu unserem Skalenproblem in den USA: Besonders deutlich
wird das am häufigsten verwendeten Schadensindikator: den Schäden an
Einfamilienhäusern. Nach der ursprünglichen F-Skala galt ein gut
gebautes Haus, das vollständig von seiner Bodenplatte gefegt wurde,
automatisch als F5-Schaden. Die EF-Skala hingegen stuft denselben
Schaden in der Regel als EF4 ein ? es sei denn, es kann nachgewiesen
werden, dass das Gebäude über den üblichen Bauvorschriften hinaus
besonders robust errichtet wurde. Auch ein Detail bei der Entwicklung
der Skalenbereiche spielt hierbei eine Rolle: die Rundung der
Windgeschwindigkeitsbereiche. Auf Grundlage technischer Analysen
wurde die höchste Schadensstufe ("Zerstörung eines gut gebauten
Wohnhauses; Bodenplatte leergefegt") mit einer erwarteten Spitzenböe
von 200 mph (322 km/h) verknüpft. Ursprünglich lag der EF4-Bereich
bei 168 ? 199 mph, was bedeutet hätte, dass 200 mph gerade in den
EF5-Bereich gefallen wäre. Doch mit der finalen Glättung der Skala in
5-mph-Schritte wurde der EF4-Bereich auf 166?200 mph erweitert. In
der Folge liegt eine Spitzenböe von 200 mph ? also bei vollständiger
Zerstörung eines gut gebauten Hauses ? nun am oberen Ende von EF4,
nicht mehr im EF5-Bereich.
In Tornadohochburgen wie Oklahoma oder Kansas werden Gebäude oft nur
nach Mindeststandards errichtet, häufig ohne Verstärkungen oder feste
Fundamentverankerung. Dadurch fehlen bei vielen Tornados ? besonders
in ländlichen Gebieten ? belastbare Schadensindikatoren für eine
EF5-Einstufung. Selbst extrem starke Tornados wie der El-Reno-Tornado
2013 (EF3) oder ein Fall nahe Hollister (Oklahoma) im Jahr 2024 (EF1)
konnten deshalb nur niedrig eingestuft werden. Die Veränderungen
durch die EF-Skala führen also wohl zu inkonsistenten oder verzerrten
Daten, was die Vergleichbarkeit zwischen Tornados aus verschiedenen
Jahren und Regionen erschwert. Dies könnte langfristig die
Zuverlässigkeit der Tornadoaufzeichnungen und -statistiken
beeinträchtigen, was wiederum Auswirkungen auf die Risikobewertung,
Vorbereitung und die Vorhersagemodelle hätte. Um dem Vorzubeugen
schlagen die Autoren vor, den Windgeschwindigkeitsbereich für
EF5-Tornados auf 190 mph anzupassen, um eine konsistente 5-stufige
Einstufung von 1880 bis heute zu gewährleisten. Diese Änderung würde
dazu führen, dass 13 EF5-Kandidaten, die aufgrund der strengeren
Klassifikationskriterien als EF4 eingestuft wurden, in die Statistik
aufgenommen werden. Dadurch würde die Lücke in der Anzahl der
EF5-Tornados auf maximal fünf Jahre begrenzt. Tatsächlich wurde
bereits bekannt gegeben, dass eine Gruppe innerhalb der American
Society of Civil Engineers und der American Meteorological Society
sich mit einer Überarbeitung der Enhanced Fujita Skala beschäftigt.
Diese soll neue Forschungsergebnisse und bisherige Erfahrungen
berücksichtigen, zusätzliche Schadensindikatoren umfassen und
Anpassungen für bereits Bestehende beinhalten. Es wird erwartet, dass
der neue Standard innerhalb der nächsten Jahre, auf jeden Fall
innerhalb dieser Dekade, veröffentlicht wird.
Dipl.-Met. Robert Hausen / Aaron Gentner
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 20.05.2025
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