Wenn der Wind Wellen formt

Nazare in Portugal, North Shore (Ohau) sowie Maui auf Hawaii sind in der Surfszene bekannte Orte, denn sie erweisen sich bei entsprechender Jahreszeit und Wetterlage als Garant für hohe Wellen. Dabei spielen an diesen Orten neben der meteorologischen Komponente sicherlich auch lokale geologische Begebenheiten unter Wasser eine große Rolle, die das Wellenwachstum unterstützen. Allerdings treten auch abseits der Küsten - bevorzugt während der Sturmsaison - auf den Ozeanen meterhohe Wellen auf, deren Höhe von Schiffen und Bojen (Punktmessung) oder aber von Satelliten (Flächenmessung) an die nationalen Wetterdienste übermittelt werden. Diese Wellen sind zumeist nur auf meteorologische Begebenheiten zurückzuführen. Die Seegebiete vor den Äußeren Hebriden westlich von Schottland oder die Campbell Insel im Südpazifik südlich von Neuseeland gelangten in den vergangenen Jahren sogar in die internationale Presse, da in diesen Regionen anhand von Bojenmessungen neue Rekordwellenhöhen für die jeweiligen Meeresregionen vermeldet wurden.

Blickt man beim Thema "Wellenwachstum" auf die meteorologische Einflussgröße und schließt Themen wie Gezeitenkräfte, Tsunamis oder Druckwellen aus, so fällt einem sicherlich sofort der Wind ein. Bläst dieser über eine Wasseroberfläche, beginnen sich durch die Interaktion des Windes mit dem Oberflächenwasser erste kleinere Wellen zu bilden, die in der Wissenschaft als sogenannte "Kapillarwellen" bezeichnet werden. Sie gehören zu den Gravitationswellen, da die Erdanziehungskraft die neu entstandenen Wellen wieder glättet. Dies kann bei kurzen Windstößen über einer Wasseroberfläche beobachtet werden, wenn die kleinen Wellen nach Abflauen des Windes wieder verschwinden.

Doch was passiert, wenn der Wind beständig weiter weht? Man kann sich die Welle wie ein Hindernis vorstellen, das vom Wind überstrichen wird. Ähnliches ist z.B. bei Gebirgen zu beobachten, wo sich auf der windabgewandten Leeseite der Berge unter bestimmten atmosphärischen Bedingungen Luftwirbel (sogenannte "Rotoren") bilden können. Entsprechendes passiert auch im Lee der Wellen im Wasser. Diese Wirbel werden durch geringe Druckunterschiede hervorgerufen, die für ein weiteres Wachstum der Welle sorgen. Erst wenn die Windgeschwindigkeit der Wellengeschwindigkeit gleicht, kann der Wirbel nicht mehr bestehen, da kein Überströmen mehr stattfindet und folglich stoppt auch das Wellenwachstum.

Diese stark vereinfachte Erklärung beinhaltet bereits zwei wichtige Komponenten, die das Wachstum von Wellen maßgeblich bestimmen. Zum einen ist es die Windgeschwindigkeit, denn je höher diese ausfällt, umso mehr können die Wellen anwachsen. Zum anderen ist aber auch die Andauer des Windes von großer Bedeutung, denn je höher die Windgeschwindigkeit ist, umso länger dauert es, bis die maximale Wellenhöhe erreicht wird. Daher muss der Wind auch längere Zeit beständig mit hoher Windgeschwindigkeit wehen, damit sich eine Welle zu voller Größe aufbauen kann. Diese beiden Komponenten führen letztendlich zum sogenannten "Fetch". Das ist der Wirkungsbereich, wo der Wind mit konstanter Geschwindigkeit und aus konstanter Richtung weht und sich die Welle somit voll aufbauen kann. Dabei wachsen die Wellen jedoch nicht ewig, sondern streben einem Maximum entgegen, um dann zu brechen.

Wir betrachten nun als Beispiel den 4. Februar 2013, als die vorläufige und von der WMO bestätigte Rekordwellenhöhe vor den Äußeren Hebriden bei Schottland durch die vom britischen Wetterdienst MetOffice betriebene Boje "K5" gemessen wurde. Dem Thema des Tages sind sowohl die Lage der Boje als auch die entsprechende Wetterkarte beigefügt. Am Südrand eines kräftigen Islandtiefs etablierte sich eine stramme Westströmung. Diese reichte von Südgrönland bis nach Schottland. Genau in diesem Bereich befand sich die erwähnte Boje. Alle Komponenten für ein kräftiges Wellenwachstum waren an diesem Tag erfüllt: Die Windgeschwindigkeit war hoch, was an der engen Drängung der Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) zu erkennen ist und der Wind dauerte auch über längere Zeit an, da das Sturmfeld sehr langgestreckt war. Die Boje maß über mehr als 12 Stunden vor dem Eintreffen der maximalen Welle Windgeschwindigkeiten von 65 km/h (Bft 8) und mehr. Die Dauer und Stärke des Windfeldes erzeugten einen sehr effektiven und ausgedehnten "Fetch", in der Abbildung hervorgehoben durch den blauen Pfeil. Dabei bauten sich die Wellen immer weiter auf, bis am 4. Februar um 6 UTC eine signifikante Wellenhöhe von 19 Metern registriert wurde. Nähere Informationen zu dieser "gemittelten" Wellenhöhe finden Sie im DWD Wetterlexikon unter "signifikante Wellenhöhe". Einzelne Wellen erreichten zu der Zeit gar Höhen von mehr als 25 m.

Die bei solch einem "Fetch" entstehenden Wellen treffen natürlich auch irgendwann auf die jeweiligen Küsten, wo sie von den anfangs erwähnten Surfern bereits sehnlichst erwartet, von den dort ansässigen Küstenbewohnern jedoch eher gefürchtet werden, denn sie sorgen nicht selten für erhebliche Schäden und ausgeprägte Küstenerosionen.

Dipl.-Met. Helge Tuschy

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.03.2019

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