Industrieschnee

Manch einer wird nach dem morgendlichen Aufstehen und dem Blick nach draußen in den vergangenen Tagen und auch am heutigen Dienstagmorgen seinen Augen kaum getraut haben: Ist es doch tatsächlich weiß geworden, und das ist kein Reif, der dort zu sehen ist, sondern Schnee! Sogar rund um die Zentrale des Deutschen Wetterdienstes in Offenbach konnte dieses Phänomen heute Morgen beobachtet werden. Dabei haben die Meteorologen doch eigentlich niederschlagsfreies Wetter vorhergesagt. Die Erklärung: Es handelt sich um sogenannten "Industrieschnee".

Industrieschnee ist nicht, wie man vielleicht denken könnte, der Schnee, der in Schneekanonen für die Pisten dieser Welt produziert wird. Auch der Dekoschnee bzw. Kunstschnee, den man in der Adventszeit nun vielerorts sehen kann, wird nicht als Industrieschnee bezeichnet. Dennoch kann man Industrieschnee als eine Art künstlichen Schnee ansehen, den es ohne Menschenhand nicht geben würde.

Industrieschnee fällt nur unter bestimmten Wetterbedingungen. So ist eine winterlich geprägte und starke Hochdruckwetterlage von Nöten, bei der sich durch absinkende Luft eine sogenannte Inversion (eine Temperaturumkehr in der Höhe) bildet. Die Inversion wirkt wie ein Deckel auf die unter ihr liegende Luftmasse. In dieser austauscharmen, meist nicht mächtiger als einen Kilometer dicken Schicht entstehen bei entsprechend hoher Luftfeuchtigkeit gebietsweise Nebel und Hochnebel, die eine weitere Voraussetzung für den Industrieschnee sind. Zudem sollte es windschwach sein und die Temperatur unter 0 Grad liegen.

Sind diese Voraussetzungen nun erfüllt, ist zusätzlich noch ein Feuchtigkeitseintrag in die Atmosphäre notwendig. An dieser Stelle kommt der Mensch ins Spiel: Industrieanlagen oder Häuser mit Schornsteinen sorgen durch Emissionen für zusätzlichen Wasserdampf und für Aerosole (Kondensationskerne) in der untersten Luftschicht. Diese zusätzliche Feuchtigkeit kann aber durch die Inversion nicht nach oben ausweichen. Weil es außerdem windschwach ist, findet auch keine Durchmischung der Luft statt. Stattdessen wird die Luft irgendwann so feucht, dass die Feuchtigkeit kondensieren muss. Bei Temperaturen unter 0 Grad bilden sich dann Schneekristalle.

Die Schneekristalle sind sehr fein, da sie in der untersten Luftschicht (100 bis 200 m) entstehen und nicht genügend Zeit haben, sich wie gewöhnliche Schneeflocken zu entwickeln. Sie fallen daher als kleine Eisnadeln und nicht als hexagonale (sechseckförmige) Schneekristalle zu Boden und sorgen für die dünne Schneedecke in einem lokal eng begrenzten Bereich um die Industrieanlagen herum. Manchmal reicht dieser Bereich nur wenige hundert Meter weit, dabei können dort aber eng begrenzt durchaus bis zu 10 Zentimeter Neuschnee zusammen kommen! Eine grüne oder weiße Landschaft ist somit oft eine Frage von nur wenigen Metern.

Die Schneekristalle des Industrieschnees fallen außerdem nur langsam zu Boden. Durch die Feinkörnigkeit glitzern sie bei entsprechenden Lichtverhältnissen, wie sie beispielsweise häufig in Großstädten anzutreffen sind. Aufgrund ihrer Größe haften die Eisnadeln besser an Gegenständen und Objekten als normaler Schnee, sodass herrliche weiße Landschaften entstehen können. Industrieschnee kann leicht mit Reif verwechselt werden. Von der Konsistenz her ist er mit Pulverschnee vergleichbar.

In den kommenden Tagen ist Industrieschnee insbesondere in den mittleren und südlichen Landesteilen noch möglich, da die Inversion und die Temperaturen dort weiterhin niedrig liegen. Im Norden dagegen wird es schon milder, darüber hinaus lässt auch der Hochdruckeinfluss dort nach. Bis zum Wochenende wird es dann überall wärmer, sodass die "weißen Überraschungen" durch Industrieschnee wohl immer seltener werden.

Dipl.-Met. Simon Trippler

Deutscher Wetterdienst

Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.12.2016

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