Dem nördlichen Mittelmeer droht Unheil durch BRIGITTE

Zum Verständnis einer Unwetterlage dieses Ausmaßes sind zahlreiche meteorologische Parameter zu betrachten. Ausgangspunkt ist ein etwa am 06.10.2016 östlich von Neufundland entstandenes großräumiges Tiefdruckgebiet, das in der Folge langsam nach Osten Richtung Europa gezogen ist und den Namen BRIGITTE erhielt. Nach Tagen des Herumdriftens, Abschwächens und Intensivierens hat es nun das westliche Mittelmeer erreicht, wobei die Lage des Zentrums heute in den Frühstunden nördlich der Balearen analysiert wurde. BRIGITTE verlagert sich in den nächsten Stunden unter Abschwächung allmählich über Frankreich nach Norden.

Dem gegenüber steht das seit Anfang Oktober über Fennoskandien liegende kräftige Hochdruckgebiet PETER, das nun seine Fühler in Richtung Bulgarien und der Türkei ausstreckt. Aus dieser Druckkonstellation resultiert Luftdruckfall im Bereich von Tief BRIGITTE über dem westlichen Mittelmeer und steigender Luftdruck durch Hoch PETER über dem östlichen Mittelmeer. Dazwischen baut sich über dem zentralen Mittelmeer ein kräftiger Druckgradient auf, der von Südost nach Nordwest ausgerichtet ist. Für die Meteorologen ist dies immer ein Signal für stark auffrischende Winde, die in der Tat vom Ionischen und Tyrrhenischen über das Ligurische Meer bis zu den Alpen erwartet werden. In der Abbildung wurde dies durch den gelben Pfeil dargestellt, der direkt in Richtung Südalpen zeigt. Der starke Südwind sorgte z.B. in Palermo auf Sizilien für eine sehr warme föhnige Nacht mit Temperaturen über 30 Grad und erst in der Früh ging die Temperatur auf 25,6 Grad zurück!

Auf Grund des starken Windes wird eine hochreichend sehr feuchtwarme Luftmasse vom südlichen Mittelmeer mit oberflächennahen Wassertemperaturen von mehr als 24 Grad nordwärts transportiert. Im Vergleich zur Referenzperiode 1971 bis 2000 weisen diese Wassertemperaturen eine positive Temperaturabweichung von 0.5 bis 2 Grad Kelvin auf (Kelvin ist die international anerkannte Basiseinheit der thermodynamischen Temperatur und wird bei Temperaturdifferenzen angegeben). Auf der Nordflanke von Tief BRIGITTE zeigte sich das außergewöhnlich große Feuchtedargebot bereits im Südwesten von Frankreich, wo es während der vergangenen 24 Stunden bereits kräftig regnete. Die Stationen Bezier-Vias und Cap Bear meldeten am heutigen Freitagmorgen 114 l/qm, respektive 168 l/qm.

Die Intensität einer Unwetterlage wird vom Zusammenspiel unterschiedlicher Parameter bestimmt. Die Winde müssen auch mit der Höhe kräftig zunehmen und sorgen so für eine entsprechend hohe Windscherung. Es muss aber auch sehr viel potentielle Energie in der Luftmasse vorhanden sein, die günstig für starke Konvektion mit hochreichender Wolkenbildung und Gewittern ist. Dies ist z.B. der Fall, wenn über eine sehr feuchtwarme Mittelmeerluft eine trockenere Luftmasse geführt wird, die mit der Höhe auch noch rasch an Temperatur verliert. Dass dies zurzeit geschieht, kann man sehr gut auf dem gestrigen Satellitenbild erkennen, wo von Nordafrika aus eine in Richtung Italien wehende Staubwolke zu sehen ist.

Wir haben nun eine sehr energiegeladene Luftmasse und viel Windscherung, aufsteigende Luftbewegung im Einflussbereich von Tief BRIGITTE sowie orografisch erzwungene Hebung der Luftmasse durch Südanströmung der Alpen. Alles in allem Zutaten für eine brodelnde Atmosphäre mit immensen Niederschlägen!

Allgemein kann man in den kommenden 24 Stunden entlang der Südküste Frankreichs bis nach Norditalien mit Niederschlagsmengen von 50 bis 100 l/qm, von Genua bis Norditalien auch mehr als 200 l/qm rechnen, lokal auch deutlich mehr. Vor allem über dem Ligurischen Meer scheint die Luftmasse besonders energiegeladen zu sein, sodass im Tagesverlauf mit der Entwicklung eines großräumigen Gewitterkomplexes gerechnet wird, der nicht nur Korsika und Sardinien, sondern auch weite Bereiche von Zentral- und Norditalien erfassen soll. Begleiterscheinungen dieser Gewitter können schwere Sturmböen, großkörniger Hagel (teils mit Durchmessern von mehr als 5 cm), intensive Niederschläge und auch Tornados sein.

Zwar werden die Bewohner dieser Gegenden vor allem zu dieser Jahreszeit immer mal wieder mit solchen Unwetterlagen konfrontiert und müssen dann mit katastrophalen Überschwemmungen zum Beispiel im Raum Genua rechnen, doch können eine gute Wetterprognose und ein funktionierender Katastrophenschutz hoffentlich das Schlimmste verhindern.

Dipl.-Met. Helge Tuschy

Deutscher Wetterdienst

Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.10.2016

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst