Die Ungerechtigkeit des Wetters

Über einen Monat alt ist nun der meteorologische Winter, der am 1. Dezember 2015 begann. In diesen Tagen schickt er sich endlich auch an, seinem Namen in Teilen Deutschlands im Positiven wie im Negativen alle Ehre zu machen. Gebietsweise gibt es Schnee und Eis mit gefährlicher Glätte, die zu Verkehrsbehinderungen und zum Teil schlimmen Unfällen geführt hat und weiter führen kann. Dazu herrscht im Nordosten Dauerfrost mit sogar zweistelligen Tiefstwerten in den Nächten.

Moment mal! Schnee, Eis und Dauerfrost? Wenn man im Westen und Südwesten Deutschlands lebt, könnte man denken, der Autor dieses Textes berichtet aus einer anderen Welt. Schnee, Eis und Frost sind in der Südwesthälfte nämlich fast unbekannte Wettergrößen in diesem bisherigen Winter. Wer dort wohnt und Winterwetter mag (natürlich nicht die negativen Begleitumstände!), kann sich in der Tat ungerecht behandelt fühlen. Ganz so, als wenn ein Gewitterfan auf ein Gewitter wartet, dieses aber doch mal wieder vorbeizieht (siehe dazu auch im Lexikon des DWD, Stichwort "Gewitter - Kulisseneffekt" unter www.dwd.de/lexikon).

Schuld an dieser "Ungerechtigkeit" des Wetters ist eine Luftmassengrenze, die sich Anfang dieses Jahres diagonal von Nordwest nach Südost über Deutschland gelegt hat und sich kaum von der Stelle bewegt. Sie trennt Winterwetter mit frostigen Temperaturen und gebietsweisen Schneefällen sowie Glätte im Nordosten von deutlich milderem und nassem Wetter im Südwesten. Während der Norden und Osten beständig mit eisiger Luft aus östlichen bis südöstlichen Richtungen versorgt werden, herrschen in den übrigen Regionen westliche bis südwestliche Strömungen vor, die milde Luftmassen in diesen Bereich einsteuern und den Gedanken an Winterwetter gar nicht erst aufkommen lassen.

So betrugen die Temperaturunterschiede am gestrigen Montag deutschlandweit fast 20 Grad! Während im baden-württembergischen Metzingen (nahe Stuttgart) 9,0 Grad als Höchsttemperatur gemessen wurden, zeigte das Thermometer in Feldberg (Mecklenburg) eisige -9,2 Grad als höchsten Wert an. Besonders deutlich waren die Unterschiede direkt an der Luftmassengrenze. Im nordrhein-westfälischen Werl z.B. wurden 5,5 Grad erreicht, im etwa 120 km nordöstlich davon entfernten Diepholz (südliches Niedersachsen) aber nur -4,7 Grad.

Die "Winterwetter-Ungerechtigkeit" dieser Tage wird erst recht deutlich, wenn man sich die Bilanz der Witterung des bisherigen Winterhalbjahrs (beginnend mit dem 1. Oktober 2015) anschaut. Zum Vergleich: Im rheinländischen Köln beispielsweise gab es seitdem keinen einzigen Tag mit einer Schneedecke und als Krönung des Ganzen nicht mal einen Tag mit Frost! In der Nacht zum 27. November 2015 war es mit 0,2 Grad dort bisher am kältesten. Im thüringischen Erfurt dagegen wurde zumindest an 6 Tagen eine geschlossene Schneedecke registriert, bereits am 14. Oktober 2015 lagen dort morgens frische 4 cm Schnee. Außerdem gab es immerhin 23 Nächte mit Frost, wobei 3 Tage als Eistage (Höchsttemperatur unter 0 Grad) verzeichnet werden konnten (2.-4. Januar 2016).

Und auch in den nächsten Tagen ist im Westen und Südwesten weiterhin kein Winterwetter zu erwarten. Die Luftmassengrenze wird allmählich in Richtung Nordosten verdrängt (siehe dazu auch die Grafik zur Lage Luftmassengrenze unter www.dwd.de/tagesthema), sodass am Freitag voraussichtlich in ganz Deutschland Plusgrade zu erwarten sind und das Winterwetter auch wieder aus dem Norden und Osten Deutschlands vertrieben wird. Im Westen und Südwesten sind tagsüber örtlich sogar zweistellige Höchstwerte vorstellbar. Ob Frau Holle oder Väterchen Frost doch noch ein Einsehen haben werden und auch dem Westen und Südwesten in diesem Winter einen Besuch abstatten, um damit die "Ungerechtigkeit" auszugleichen, kann an dieser Stelle noch nicht beantwortet werden.

Dipl.-Met. Simon Trippler

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.01.2016

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