Verwirrender Frühlingsanfang

In der vergangenen Nacht um 23:45 Uhr MEZ - also gerade noch so am 20. März 2015 - war es so weit: Aus astronomischer Sicht hat bei uns auf der Nordhalbkugel der Frühling begonnen.

Dass der meteorologische Frühling bereits am 1. März begann, wird angesichts der sehr milden Witterung der letzten Tage wohl niemand in Zweifel stellen. Dass wir Meteorologen den Frühlingsanfang auf den 1. März datieren, hat keine vorhersagetechnischen, sondern ausschließlich statistische Gründe. In der Klimastatistik werden immer drei komplette Monate zusammengefasst, sodass auf diese Weise zum Beispiel Monats- oder Jahreszeitenmittelwerte einfacher erstellt und besser verglichen werden können.

Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, den Frühling zu definieren, nämlich über den Entwicklungsstand der Pflanzen (Phänologie). Aus dieser Sichtweise unterteilt sich der Frühling in Mitteleuropa in drei Phasen: Vorfrühling, Erstfrühling und Vollfrühling. Deren Eintritt wird über das Auftreten bestimmter Entwicklungsschritte von Pflanzen bestimmt. So hat der Vorfrühling mit dem Beginn der Blüte von Hasel und Schneeglöckchen schon fast überall in Deutschland Einzug gehalten. Mancherorts wurde sogar bereits die Blüte der Forsythie und somit der Erstfrühling beobachtet. Der Vollfrühling beginnt hingegen meist erst Ende April mit der Apfelblüte. Dabei beginnen die Phasen teils inhomogen über Deutschland verteilt. Der phänologische Frühlingsbeginn "wandert" mit etwa 30 bis 40 Kilometern pro Tag von Südwest nach Nordost. Auch in der Höhe wandert er mit zirka 30 Metern pro Tag langsam die Berge hinauf, wobei er an den Südhängen früher als an den Nordhängen beobachtet werden kann. Insbesondere spielen aber auch kleinräumige Klimaverhältnisse eine Rolle. So beginnen die einzelnen Frühlingsphasen in geschützten Lagen der großen Städte oft wesentlich eher als in freien Lagen auf dem Land. Den aktuellen Stand der phänologischen Entwicklung können Sie übrigens unter www.dwd.de/phaenologie verfolgen. Nun aber zurück zum astronomischen Frühlingsbeginn. An diesem Tag spricht man von einer der beiden Tag-und-Nacht-Gleichen im Jahr (die andere ist zu Herbstbeginn). Schaut man aber in so manchem Kalender nach, wird man feststellen, dass die Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ebenso wie die Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang bereits am vergangenen Mittwoch (18. März) zwölf Stunden betrug. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich damit begründen, dass aufgrund der "großen" optischen Dicke der Atmosphäre bei Sonnenauf- und -untergang das Licht der Sonne um 0,6 Grad abgelenkt wird. Dadurch erscheint uns die Sonne höher als sie tatsächlich steht und wir sehen die Sonne schon ca. vier Minuten eher als rein über die Astronomie möglich. Auch abends verlängert sich so der "Tag" um die gleiche Zeit. Zudem bezieht sich der Begriff der Tag-und-Nacht-Gleiche aus streng astronomischer Sicht auf den Mittelpunkt der Sonnenscheibe und nicht auf die oberste Kante.

Früher konnte man in der Schule lernen, dass der Frühlingsanfang üblicherweise auf den 21. März fällt. Betrachtet man aber das aktuelle Jahr und auch die zurückliegenden Jahre, lag der Zeitpunkt der Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche stets am 20. März. Aber warum ist das so? Nun, die Ursache ist darin zu finden, dass das Jahr nicht exakt 365 Tage hat, sondern im Mittel 365 Tage 5 Stunden 49 Minuten und 1 Sekunde. Das heißt also, dass jeder Frühlingsanfang auf eine um knapp sechs Stunden spätere Uhrzeit fällt als der vorhergehende. (Schwankungen um den Mittelwert herum werden dabei unter anderem durch von anderen Planteten beeinflusste Erdbahnstörungen verursacht.) Nach vier Jahren hätte sich also der Frühlingsanfang um knapp 24 Stunden nach hinten verschoben. Der julianische Kalender führte - wie bereits zuvor schon einmal ein ägyptischer Kalender - einen Schalttag alle vier Jahre ein. Dieser Schalttag (heutzutage der 29. Februar) hat aber eine Überkompensierung zur Folge, da man um 24 Stunden korrigiert, aber der Frühlingsanfang nur ca. 23 Stunden 16 Minuten (4 mal 5 Stunden 49 Minuten) "wandert". Das bewirkt, dass der Frühlingsanfang nach einem Schaltjahrzyklus von vier Jahren im Mittel um etwa 44 Minuten zu früheren Zeitpunkten hin verschoben wird. Mit dem gregorianischen Kalender wird diese Überkompensation ausgeglichen, indem in drei von vier Hunderterjahren kein Schalttag eingeschoben wird. So war das Jahr 2000 ein Schaltjahr, 2100 bis 2300 sind jedoch keine.

Da jeder Schalttag eine Überkompensation bewirkt, die erst durch die Schaltregel für Hunderterjahre wieder korrigiert wird, läuft eine merkliche Verfrühung des Frühlingsanfangs (und natürlich auch der anderen Jahreszeitenanfänge) auf. Blickt man in die Historie und in die Zukunft, so kann man dies gut nachvollziehen: Zum Ende des 19. Jahrhunderts fiel der Frühlingsanfang stets auf den 20. März (Mitteleuropäischer Zeit). Durch das Auslassen des Schalttages im Jahr 1900 rutschte die astronomische Tag-und-Nacht-Gleiche nun bis einschließlich 1915 immer auf den 21. März. In der Folge fing der Frühling mal am 20., mal am 21. März an, wobei mit fortschreitenden Jahren der 20. März wieder überhand bekam. Im Jahr 2011 begann der Frühling zum letzten Mal in diesem Jahrhundert am 21. März und beginnt seither stets am 20. März. Im Jahr 2048 wird der Frühlingsanfang erstmals (um 23:34 Uhr MEZ) und dann immer öfter auf den 19. März fallen. Gegen Ende des 21. Jahrhunderts werden der 19. und 20. März etwa gleich häufig vorkommen. Wegen des im Jahre 2100 ausfallenden Schalttages (siehe oben) wird der Frühlingsanfang zu Beginn des 22. Jahrhunderts wieder zwischen dem 20. und 21. März pendeln. Eine ansprechende und gut verständliche Grafik zu diesem Thema finden Sie unter www.dwd.de/tagesthema.

Übrigens: Für die Berechnung des Osterdatums wird immer der 21. März verwendet. Der Ostersonntag liegt dann am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling. Diese Art der Berechnung kann manchmal dazu führen, dass Ostern astronomisch gesehen zum falschen Zeitpunkt gefeiert wird (sog. Osterparadoxie). Das ist das nächste Mal im Jahr 2019 der Fall. An dieser Stelle würden Ausführungen dazu aber zu weit führen.

M.Sc. Met. Stefan Bach

Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.03.2015
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