Die Flüsse der Atmosphäre Flüsse sind uns allgemein als Gewässer bekannt, die sich mal ruhig und still, mal mit tosender Gewalt durch Städte und Landschaften schlängeln. Mal bieten sie dem vom Lärm gestressten Stadtbewohner Ruhe und Erholung, mal nehmen sie mit zerstörerischer Gewalt Eigentum und fordern im schlimmsten Fall auch Menschenleben. Der blanken Definition nach handelt es sich bei einem Fluss um ein linienhaft fließendes Gewässer auf der Landoberfläche und um es noch genauer zu definieren: Es handelt sich um ein Fließgewässer mit einer bestimmten Strömungsgeschwindigkeit. Und der Begriff "Strömung" ist ein essenzieller Punkt, wenn wir uns von den uns bekannten Flüssen auf der Landoberfläche abwenden und uns den Flüssen der Atmosphäre zuwenden. Dabei ist der Begriff eigentlich recht schnell erklärt. In der Atmosphäre findet jeden Tag wiederholt ein Feuchtestrom von den (sub-) tropischen Bereichen nach Norden in die mittleren Breiten statt. Dies wird durch rege Tiefdruckaktivität gefördert, die für das Vermischen der unterschiedlich temperierten Luftmassen mit variablem Feuchtegehalt verantwortlich ist. Wie im Thema des Tages vom 16.01.15 erklärt (zu finden unter www.dwd.de/tagesthema) kann man sich ein Tiefdruckgebiet als ein Zusammenspiel mehrerer "Förderbänder", (engl. "conveyor belts") vorstellen. Im "warmen Förderband", vorderseitig der Kaltfront, wird die warme und feuchte Luft nach Norden transportiert. Dies geschieht in vielen Fällen relativ unspektakulär, da die Tiefdruckgebiete nicht immer die notwendige Nord-Süd Ausdehnung erreichen, um Luftmassen aus dem tropischen Süden "anzuzapfen". Doch dies ist eben besonders bei marinen Tiefdruckgebieten manchmal der Fall, wo fehlende Landreibung und beständige Feuchtezufuhr langlebige und teils sehr intensive Tiefdruckentwicklungen ermöglichen. Wenn nun solch ein Tief (bezogen auf die Nordhemisphäre) auf seiner Vorderseite Luftmassen (sub-) tropischen Ursprungs nach Norden führt, dann wird dieser Feuchtestrom in Wasserdampfbildern der Wettersatelliten und in den diversen Wettermodellen als ein schmales, markantes Feuchteband sichtbar. Da wir uns bei einem wissenschaftlichen Thema befinden, verwundert es nicht, dass auch hierfür bestimmte Kriterien erstellt wurden, ab wann man von einem "Atmosphärenfluss" spricht: Eine Feuchtezunge mit rund 2000 km Länge und 300-600 km Breite (Quelle: Newell et al. 1992). Doch es geht auch herzhafter, was vonseiten der Nordamerikaner eingeführt wurde: z.B. "Ananasexpress", um der Herkunft der Luftmasse von Hawaii Rechnung zu tragen, die über den Nordpazifik an die Westküste der USA geführt wird. Auch wir in Europa erleben immer wieder solche "Flüsse", die vor allem den Westen Europas wie die Iberische Halbinsel, Irland, England, Schottland und Norwegen heimsuchen können. Bisher gab es dafür in unseren Breiten noch keine entsprechende Namensnennung. Eine Übersicht über die aktuelle Lage ist dem Thema des Tages als Bild beigefügt (siehe: www.dwd.de/tagesthema; Quelle: http://tropic.ssec.wisc.edu/real-time/mimic-tpw/global/main.html ) Was macht nun diese "Flüsse" so interessant und auch gefährlich? Sie stellen einen konzentrierten Feuchtetransport innerhalb der untersten 3-4 km über Grund dar, wo extrem viel Feuchtigkeit nach Norden transportiert wird. Begleitet wird dieser Feuchtetransport von sehr starken Winden, die entlang einer Kaltfront häufig anzutreffen sind. Gelangt nun solch ein "Fluss" an Land und stellt sich ihm dort auch noch ein Gebirge in den Weg, dann muss mit sehr ergiebigen Regenfällen gerechnet werden, die auch mal mehrere Tage andauern können. Zudem sorgt die herangeführte sehr warme Luft dafür, dass die Schneefallgrenze außergewöhnlich hoch liegt und somit die Flüssigkeit auch nicht als Schnee in den Bergen gebunden werden kann. Das alles sind hervorragende Bedingungen für einen erhöhten Abfluss und Überschwemmungsgefahr. Wie ausgeprägt diese Gefahr ist, hängt natürlich auch davon ab, wie schnell sich so ein "Atmosphärenfluss" verlagert. Diverse Untersuchungen haben gezeigt, dass die größten Flutkatastrophen, z.B. in Kalifornien, USA, in England oder Norwegen, eng mit solchen "Atmosphärenflüssen" verknüpft waren. Die Vorhersage dieser Phänomene stellt daher ein großes Interesse der Wissenschaft dar, sind doch die Auswirkungen bisweilen extrem. Doch diese "Flüsse" sind nicht selten auch wichtige Regenspender für aride Küstengebiete und bei längerem Ausbleiben sind Trockenheit und Dürre die Folge (u.a. sichtbar an der momentan noch andauernden Dürre in Kalifornien). Am 16. Januar 2015 wurde eine 2 Monate andauernde Messkampagne im Nordostpazifik begonnen, die unter dem Namen "CalWater 2015" u.a. intensiv solche "Atmosphärenflüsse" untersuchen soll (nähere Informationen zu finden unter: www.esrl.noaa.gov/psd/calwater/). Dabei werden von der Luft (mit Hilfe von Messflugzeugen), von Schiffen und von Land aus diverse Messungen unternommen, um die Vorhersager dieser Phänomene auch weiter zu verbessern. Und es zeigt sich, dass die Kampagne vom "Wetterglück" verfolgt ist, denn momentan ist ein markanter "Ananasexpress" in vollem Gange, der Teilen der Westküste (Südwesten Oregons und dem Norden Kaliforniens) heftige Regenfälle beschert. Dabei werden besonders in den Bergregionen vonseiten der Modelle Niederschlagsmengen von 250-300 l/qm innerhalb mehrerer Tage gezeigt, was schon beachtenswert ist. Vor allem in weiten Teilen Kaliforniens wird dieses Ereignis wieder einen schmalen Grat betreten zwischen Überschwemmungen und sehnlichst erwartetem Regen in den dürregeplagten Regionen. Große Ereignisse können jedoch noch weitaus intensivere Niederschläge hervorrufen, wie z.B. ein Ereignis vom 18-21. Januar 2012, wo in denselben Gebieten binnen 3 Tagen teils mehr als 600 l/qm Niederschlag fielen. Im Nordwesten Englands sorgte solch ein Ereignis am 19. November 2009 für erhebliche Überschwemmungen, nachdem regional über 150 l/qm binnen 3 Tagen gefallen waren. Wie viel "Wasser" bis zum nächsten Ereignis in Westeuropa noch den sprichwörtlichen "Fluss hinunterfließen" wird, kann aus heutiger Sicht nicht gesagt werden, aber ein Blick auf die aktuellen Wetterkarten zeigt, dass solch ein Ereignis bei uns in nächster Zeit nicht zu erwarten ist. Aus diesem Blickwinkel lässt sich die kalte Luft aus Norden doch sicherlich noch besser ertragen. Dipl.-Met. Helge Tuschy Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 06.02.2015 Copyright (c) Deutscher Wetterdienst